Abmeldung vom Religionsunterricht? Über die teure Wahrung eines Grundrechts

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[ursprünglich veröffentlicht am 11.2.2012, ergänzt am 6.2.2017]

Alle Eltern, egal welcher Religion oder Weltanschauung sie angehören, haben die Möglichkeit, ohne Angabe von Gründen ihre Kinder von der Teilnahme am Religionsunterricht freizustellen.
(s. GG Art. 7 Abs. 2 und SchulG NRW § 31 Abs. 6: (6))

In ganz Deutschland gilt an öffentlichen Schulen das Grundrecht, sich vom Religionsunterricht abzumelden. In ganz Deutschland? Wenn man in Nordrhein-Westfalen wohnt und sein Kind an der nächstgelegenen öffentlichen Grundschule angemeldet hat, kann die Wahrung dieses Rechts teuer werden. Diese Erfahrung musste die alteingesessene Familie des 8-jährigen Fabian (Name v. d. Red. geändert) aus Mönchengladbach machen. Nachdem der ansonsten durchgängig gute Schüler in seinem Abschlusszeugnis der 2. Klasse eine 4 in Religion fand, beschlossen die Eltern, seinem Wunsch zu folgen und ihn zum neuen Schuljahr vom Religionsunterricht abzumelden. Die Schule schien den Wunsch jedoch zu ignorieren: Der frischgemahlene Drittklässler kehrte im September mit der Nachricht heim, dass er weiterhin den ungeliebten Religionsunterricht besuchen müsse. Irritiert wandten sich die Eltern erneut an die Schule und wiesen auf das Schulgesetz hin. Statt der erwarteten Bestätigung der Abmeldung erhielten Sie jetzt ein Schreiben der Städtischen Katholischen Grundschule: Die stellvertretende Schulleiterin teilt darin mit,  „dass ich beabsichtige, die Aufnahmeentscheidung für lhren Sohn mit sofortiger Wirkung zu widerrufen“. Auf gut deutsch: Fabian soll sich eine andere Grundschule suchen. Und zwar sofort.

Natürlich gibt es nichtkonfessionelle Grundschulen in Mönchengladbach. Aber fast die Hälfte aller öffentlichen Grundschulen in Mönchengladbach sind katholische Grundschulen – die zu hundert Prozent von allen Steuerzahlern unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit finanziert werden. Sie haben eine katholische Leitung, stellen nur katholische Lehrer/innen ein und bieten nur katholischen Religionsunterricht an – obwohl im Schnitt über ein Drittel aller Schüler/innen an diesen Schulen nicht katholisch ist. So sind etwa an Fabians Schule mehr als 40% der Kinder nicht katholisch getauft.

Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt: Die Familie schaltet einen Rechtsanwalt ein. Mit Erfolg: Die Schule setzt bald darauf ihre Entscheidung unter Verweis auf den Fall Öztürk aus: Man wolle eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts in jenem Fall abwarten. Fabian muss den Religionsunterricht vorläufig nicht mehr besuchen.

Der Fall ist damit aber noch lange nicht abgeschlossen. Engagierte Landes- und Kommunalpolitiker der Linken unterstützen Fabians Familie in ihrem Anliegen. Oberbürgermeister Norbert Bude (SPD) dagegen stellt sich im Dezember persönlich hinter die Entscheidung der Schule und des Schulamts, das Kind der Schule zu verweisen.

Erst das neue Jahr bringt eine überraschende Kehrtwende: Am 11. Januar erhält Fabians Familie überraschend den erlösenden Brief von der Schule. In drei knappen Sätzen wird erläutert, dass Fabian nun doch an seiner Schule bleiben darf. Da die gerichtliche Entscheidung im Fall Öztürk noch auf sich warten lasse und das Schuljahr schon so weit fortgeschritten sei, bleibe es bei der ursprünglichen Aufnahmeentscheidung.

Und auch dabei bleibt es: Obwohl es sich um eine katholische Bekenntnisschule handelt, ist Fabian vom Religionsunterricht und sogar vom Kirchgang freigestellt – worum die Familie übrigens nie ersucht hatte. Das Halbjahreszeugnis stellt klipp und klar fest: „Religionslehre: n. teilg.“

Einen Haken hat die Sache für die Familie: Auf den über 3.000 Euro für den Rechtsanwalt bleibt sie trotz des Erfolgs in der Sache sitzen, da es nicht zu einem Rechtsstreit vor Gericht kam. Kommentar des Vaters: „D-A-S war mir als Elternteil der Spass wert.“ Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack, da es nicht zu einer grundsätzlichen Klärung der Angelegenheit kam. Es wird nicht viele geben, die bereit oder finanziell in der Lage sind, ihr Grundrecht auf Religionsfreiheit einzufordern, wie Fabians Familie dies getan hat.


Wir danken dem Autor Hermann Horstkotte für seine Unterstützung bei der Recherche.

Zum Fall der muslimischen Schülerin, die in einem ähnlichen Fall von einer ebenfalls öffentlichen evangelischen Bekenntnisgrundschule in Mönchengladbach verwiesen werden sollte, verweisen wir auf diesen Artikel: Schulverweis oder Religionsunterricht (Zeit online, 20.7.2011, Autor: Hermann Horstkotte)

Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2012. Das Oberverwaltungsgericht NRW hat 2015 dargelegt, dass ein Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht an öffentlichen Bekenntnisschulen nicht besteht. Dies stehe auch nicht im Widerspruch zum Grundgesetz, da dieses in Art. 7 Abs. 5 ausdrücklich auch die Existenz öffentlicher Bekenntnisschulen vorsehe. Ferner gehöre das Fach Religion an einer Bekenntnisschule „zum elementaren Kern der Schule und macht einen wesentlichen Teil ihrer Identität aus“.

6 Gedanken zu „Abmeldung vom Religionsunterricht? Über die teure Wahrung eines Grundrechts

  1. Als nächstes meldet man sich dann von Mathe ab, weil die Note nicht adäquat ist. Wie wäre es gewesen dem Kind ein echtes Beispiel zu sein und Leistung zu fordern (was ja im allgemeinen in Religion nicht sooo schwer ist)? Denn zu allererst ist Religion ein Schulfach, die Gutsherrennummer ist da eher nachrangig und spiegelt nur persönliche Befindlichkeiten, die über das Kind ausgefochten werden. Zivilcourage ist was anderes.

  2. Der Vergleich dieser beiden Schulfächer ist albern. Konfessioneller Religionsunterricht ist etwas gänzlich anderes als Mathematikunterricht. Das war zumindest dem Verfassungsgeber bewusst, der damit dem allgemeinen Menschenrecht auf Religionsfreiheit in seiner positiven wie negativen Ausprägung Geltung verschafft hat. Daher gibt es einen Grundgesetzartikel, wonach man sich vom Religionsunterricht abmelden darf.

  3. Der Staat versagt total!!
    Es kann nicht sein, dass der Staat seine Pflicht zur Errichtung von genügend Schulen und Kindergärten den Kirchen überträgt/überlässt, und diese dann auch noch zu 100% (Schulen) bzw 90% (Kindertagesstätten) finanziert.
    Denn neben dem Unterricht und der Betreuung wird fleißig intensive Werbung für die eigene Sache = Religion gemacht, und Toleranz wird insbesondere bei katholischen Instituionen häufig ganz klein geschrieben.
    Trennung von Staat und Kirche sieht anders aus, hier herrscht leider eine ganz üble Vermischung.
    Außerdem hat Religion meiner Meinung nach an Schulen überhaupt nichts zu suchen!

  4. Warum melden Sie Ihr Kind an einer katholischen Grundschule an, wenn es nicht mit den Werten konfrontiert werden soll. Davon abgesehen wurzeln alle westlichen Verfassungen auf christlichen Werten und ein moderner Religionsunterricht ist sicher keine Art von Missionieren. Religionsunterricht soll Orientierung bieten und Themen wie Weltreligionen oder auch Partnerschaft stehen im Lehrplan. Bei Abmeldung ohne Ersatz wird dem Kind was fehlen.

  5. Sehr geehrter Herr Weiß, danke für Ihren Kommentar. Ich glaube nicht, dass die Familie des Jungen ein Problem hat mit christlichen Werten. Aber sie wollte ein Grundrecht unserer Verfassung wahrnehmen. Selbstverständlich bietet guter Religionsunterricht Orientierung und informiert auch über andere Religionen. Dennoch ist er konfessionell und – so die Kirchen übereinstimmend – muss und will nicht neutral sein. Daher das Recht auf Abmeldung. An einer kirchlichen Privatschule als optionaler Angebotsschule kein Problem. Wenn es sich jedoch wie hier um eine öffentliche, also vom Staat betriebene Einrichtung handelt, dürfen Grundrechte nicht eingeschränkt werden.

  6. Sehr geehrter Herr Ehlers,
    die Familie des Jungen wollte kein Grundrecht unserer Verfassung wahrnehmen, sondern eine 4 auf dem Zeugnis vermeiden.
    So ist das halt heutzutage in Deutschland: Man will die Rosinen picken. Vom Rest, also den christlichen Werten und Überzeugungen, will man nichts wissen. Die Wirtschaftsbosse machen es so vor.

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