12. August 2012
Eigentlich hatte die NRW-Piratin Monika Pieper eine ganz einfache Frage: Welche Aufnahmeregeln gelten eigentlich an jenem Drittel aller Grundschulen des Bundeslandes, die zwar Bekenntnisschulen sind, sich aber in staatlicher Trägerschaft befinden und ausschließlich aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden?
Seit dem Wegfall der Schulbezirke für Grundschulen 2008 gibt es jedes Jahr Probleme, wenn Eltern ihre Kinder an der Grundschule anmelden. So manche Familie fiel seitdem aus allen Wolken, als sie den Platz an der nächstgelegenen Wunschschule nicht bekam, während weiter entfernt wohnende Kinder mit dem richtigen Bekenntnis einen Platz erhielten.
Das Schulgesetz legt in dieser Frage scheinbar eindeutig fest: „Jedes Kind hat einen Anspruch auf Aufnahme in die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in seiner Gemeinde im Rahmen der vom Schulträger festgelegten Aufnahmekapazität.“
Was aber, wenn es sich bei der gewünschten Schule um eine Bekenntnisschule handelt, das Kind aber nicht im Bekenntnis getauft ist?
Ausführlichere Regelungen enthält die Ausbildungsordnung Grundschule (AO-GS), die ausdrücklich festlegt, wie bei einem Anmeldeüberhang zu verfahren ist: Kinder mit Wohnsitz in der Gemeinde seien vorrangig zu berücksichtigen, ebenso wie Härtefälle. Ansonsten gelten die Kriterien Geschwisterkinder, Schulwege, Besuch eines Kindergartens in der Nähe der Schule, ausgewogenes Verhältnis von Mädchen und Jungen, und ausgewogenes Verhältnis von Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Muttersprache.
Die Ausbildungsordnung Grundschule verliert also kein Wort über Religion und Bekenntnis.
An dieser Stelle setzt die Kleine Anfrage der Piraten an, auf die die Landesregierung am 7.8.2012 antwortete (Drucksache 16/499):
1. Kommen bei einem Anmeldeüberhang an einer Bekenntnisgrundschule für das Schuljahr 2012/2013 ausschließlich die unter §1 Abs. 3 der Ausbildungsordnung Grundschule (AO-GS) genannten fünf Kriterien zum Tragen?
Antwort der Landesregierung:
Ja.
Man sollte denken, dass sich damit die Beantwortung der beiden weiteren Fragen erübrigt, wenn doch ausschließlich diese Kriterien Gültigkeit haben. Tatsächlich und konsequent bleibt Frage 2 ohne Antwort:
2. Wenn andere Kriterien zum Tragen kommen, welche sind das?
In der Antwort auf Frage 3 erklärt die Landesregierung, wieso es zwar keine weiteren Kriterien für die Aufnahme an Bekenntnisschulen gibt, getaufte Kinder aber trotzdem vorrangig behandelt werden müssen:
3. Falls andere Kriterien zutreffen, wo sind eben diese Kriterien geregelt?
Antwort der Landesregierung:
Abgesehen von den Kriterien in § 1 Abs. 3 AO-GS haben bei einem Anmeldeüberhang an einer Bekenntnisschule Kinder, die dem Bekenntnis angehören, bei der Aufnahme einen Vorrang gegenüber den anderen Kindern (Nr. 1.23 der Verwaltungsvorschriften zur AO-GS – BASS 13-11 Nr. 1.2). Diese Klarstellung ergibt sich aus den Merkmalen einer Bekenntnisschule, wie sie in Art. 12 Abs. 6 der Landesverfassung und § 26 Abs. 3 Schulgesetz (SchulG) bestimmt sind. Sie ist der Anwendung der Vorschriften des § 46 Abs. 3 SchulG und des § 1 Abs. 2 und 3 AO-GS vorgeschaltet.
Noch im März 2010 hat uns übrigens das Schulministerium als Antwort auf unsere Petition erklärt, eine Ablehnung von Kindern aufgrund ihrer Konfession sei dann nicht rechtens, wenn die Eltern ausdrücklich erklären, dass sie eine Unterrichtung und Erziehung im Schulbekenntnis wünschen. In der Stellungnahme des Ministeriums heißt es:
„Einen Anspruch auf Aufnahme [haben] zunächst nur diejenigen Kinder, die dem jeweiligen Bekenntnis angehören. Aus Gründen des Art. 4 GG sind diesen Kindern solche gleichzustellen, die ausdrücklich Unterricht und Erziehung in dem Bekenntnis wünschen. Bei einem Anmeldeüberhang ist richtigerweise zunächst die Konfessionszugehörigkeit der Aufnahmewilligen bzw. die Erklärung der Eltern, das Kind im Sinne des Bekenntnisses erziehen zu wollen, zu berücksichtigen.“
Der Kölner Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum ist übrigens der Ansicht, dass die Konfession so oder so keine Rolle spielen darf:
“Insgesamt enthalten §§ 1 AO-GS, 1 APO-S I für das Aufnahmeverfahren abschließende Regelungen, so dass weitere, nicht aus diesen Regelungen hervorgehende Aufnahmekriterien nicht zulässig sind. Deshalb darf an staatlichen Schulen, auch an Bekenntnisschulen, die Konfession für die Aufnahmeentscheidung keine Rolle spielen. Die anders lautende Regelung in Nr. 1.23 S. 4 VVzAO-GS ist – wie auch die der Verwaltungsvorschrift entsprechende Behördenpraxis – rechtswidrig.”
Wir sind gespannt, ob sich die Piraten mit der Antwort der Landesregierung zufriedengeben.
§ 1 Abs. 3 AO-GS
Im Rahmen freier Kapazitäten nimmt die Schule auch andere Kinder auf. Bei einem Anmeldeüberhang führt die Schule ein Aufnahmeverfahren unter diesen Kindern durch. Dabei werden Kinder mit Wohnsitz in der Gemeinde vorrangig berücksichtigt. Die Schulleiterin oder der Schulleiter berücksichtigt Härtefälle und zieht im Übrigen eines oder mehrere der folgenden Kriterien für die Aufnahmeentscheidung gemäß § 46 Abs. 2 SchulG heran:
1. Geschwisterkinder,
2. Schulwege,
3. Besuch eines Kindergartens in der Nähe der Schule,
4. ausgewogenes Verhältnis von Mädchen und Jungen,
5. ausgewogenes Verhältnis von Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Muttersprache.
Nr. 1.23 der Verwaltungsvorschriften zur AO-GS
Die Wahl der Schulart steht den Eltern zu Beginn eines Schuljahres frei (§ 26 Abs. 5 SchulG).
In eine Bekenntnisschule darf ein Kind aufgenommen werden, wenn es entweder
a) dem entsprechenden Bekenntnis angehört oder
b) dem Bekenntnis nicht angehört, die Eltern (§ 123 SchulG) aber ausdrücklich übereinstimmend wünschen, dass es nach den Grundsätzen dieses Bekenntnisses unterrichtet und erzogen werden soll.
Im Ausnahmefall sind Kinder als Minderheit dann in eine Bekenntnisschule aufzunehmen, wenn eine öffentliche, ihrem Bekenntnis entsprechende Schule oder eine Gemeinschaftsschule auf dem Gebiet des Schulträgers nicht besteht oder nur bei Inkaufnahme eines unzumutbaren Schulweges erreichbar ist.
Bei einem Anmeldeüberhang an einer Bekenntnisschule haben Kinder, die dem Bekenntnis angehören, bei der Aufnahme einen Vorrang gegenüber den anderen Kindern.
§26 Abs. 3 SchulG
In Bekenntnisschulen werden Kinder des katholischen oder des evangelischen Glaubens oder einer anderen Religionsgemeinschaft nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichtet und erzogen. Zum evangelischen Bekenntnis im Sinne dieser Vorschrift gehören auch die bekenntnisverwandten Gemeinschaften.
§46 Abs. 3 SchulG
Jedes Kind hat einen Anspruch auf Aufnahme in die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in seiner Gemeinde im Rahmen der vom Schulträger festgelegten Aufnahmekapazität.
§1 Abs 2 AO-GS
Jedes Kind hat einen Anspruch auf Aufnahme in die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in seiner Gemeinde im Rahmen der vom Schulträger festgelegten Aufnahmekapazität (§ 46 Abs. 3 SchulG). Bei einem Anmeldeüberhang sind die Kriterien des Absatz 3 für die Aufnahmeentscheidung heranzuziehen.
Siehe dazu auch den Artikel Rechtsgrundlagen von Bekenntnisschulen in Nordrhein-Westfalen.