Heute erreichte uns eine Schilderung aus einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen. In dieser Stadt gibt es zwei öffentliche Grundschulen: eine davon ist eine evangelische Bekenntnisschule, die andere eine katholische Bekenntnisschule. In dieser Geschichte geht es um das Kind einer muslimischen Familie, die in dieser Stadt wohnt. Die Familie könnte aber, zumindest theoretisch, eben so gut bekenntnislos, jüdisch, oder hinduistisch sein. Das Kind besucht die zweite oder dritte Klasse einer der beiden Bekenntnisschulen. Vom Religionsunterricht war es bislang befreit, schließlich gehört es dem Schulbekenntnis nicht an.
„Heute Morgen hat die Schulleiterin den Vater zu sich zitiert und ihm mitgeteilt, dass das Kind künftig am Religionsunterricht und am Gottesdienst teilnehmen müsse und zeigte ihm die Schulmail des Ministeriums. Es gebe eine Gemeinschaftsschule in der Nachbarstadt, die mit dem Bus zumutbar zu erreichen sei. Der Vater ist standhaft geblieben. Am Ende hat die Schulleiterin erst eingelenkt, nachdem der Vater mit großem Aufsehen (Presse und Rechtsweg) gedroht hat. Aber sie bat um Diskretion: Wenn das Schulamt dies erfahre, komme sie in Teufels Küche und könne nichts mehr für ihn tun.“
Dieser Fall illustriert gut, wie viel Unsicherheit in Bezug auf die Regelungen rund um die öffentlichen Bekenntnisschulen besteht. Das oben angeführte Vorgehen der Schulleitung ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig und rechtlich angreifbar.
1) In der Ausbildungsordnung Grundschule ist für die Aufnahme an Bekenntnisschulen festgelegt:
„Im Ausnahmefall sind Kinder als Minderheit dann in eine Bekenntnisschule aufzunehmen, wenn eine öffentliche, ihrem Bekenntnis entsprechende Schule oder eine Gemeinschaftsschule auf dem Gebiet des Schulträgers nicht besteht oder nur bei Inkaufnahme eines unzumutbaren Schulweges erreichbar ist.“
Das „Gebiet des Schulträgers“ ist in diesem Fall eindeutig die Kommune. In der Ausbildungsordnung ist keine Rede davon, dass ein Kind in eine Schule in der Nachbarkommune abgeschoben werden kann. Außerdem geht aus der Regelung zumindest implizit hervor, dass Nichtbekenntniskinder in Fällen wie diesem ausdrücklich Minderheitenrechte genießen: Kinder des jeweils anderen christlichen Bekenntnisses haben laut Schulgesetz §26.7 sogar Anspruch auf eigenen Religionsunterricht, sofern mehr als 12 Kinder an der Schule dem Bekenntnis angehören. Es ist nicht nachvollziehbar, warum das nicht auch für muslimische Kinder gelten sollte. Ebenso wenig darf Eltern, deren Kinder nicht dem Schulbekenntnis angehören, das Recht genommen werden kann, ihre Kinder laut GG Art. 7 Abs. 2 und §31.6 des NRW-Schulgesetzes vom Religionsunterricht abzumelden.
2) In der Schulmail vom 5.11.2013 steht explizit, dass eine Teilnahme am Gottesdienst eben gerade nicht verpflichtend sein darf: „Wenn … das Kind dem Schulgottesdienst fernbleibt, stellt dies den Besuch der Bekenntnisschule nicht in Frage.“
3) Richtig ist, dass eine Schulleitung, die geltendes Recht derart missachtet, in Teufels Küche gut aufgehoben wäre. Zu ihrer Verteidigung ist aber zu sagen, dass die Regelungen in Schulgesetz, Ausbildungsordnung Grundschule (AO-GS), der Verwaltungsanordnung zu AO-GS (VVz-AOGS) und jetzt auch noch die „Schulmail“ sich teilweise widersprechen. Immer wieder kommt es zu Streitfällen, die gerichtlich geklärt werden müssen. Kein Wunder, dass es viele Grundschulen ohne Leitung gibt.
Übrigens gibt es in Nordrhein-Westfalen 75 Kommunen, in denen es ausschließlich Bekenntnisschulen gibt. Ändern kann diese Situation einzig der Landtag von Nordrhein-Westfalen. Eine Abschaffung der öffentlichen Bekenntnisgrundschulen wäre mit Sicherheit von einer heftigen Debatte begleitet, nicht anders war es in Bayern, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, als dort vor über 40 Jahren der Konfessionalisierung der Bildung im Grundschulbereich ein Ende gesetzt wurde. Die Angst vor einer öffentlichen Debatte sollte allerdings für keine demokratische Partei ein Grund sein, weiterhin zu akzeptieren, dass elementare Grundrechte eingeschränkt werden.