Gute Gründe, gute Schulen umzuwandeln

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Klaus Kaiser (stellv. Vorsitzender CDU-Fraktionsvorsitzender), in einem WDR-Beitrag vom 24.9.2014:

„Die Konfessionsschulen sind Teil unserer Bildungslandschaft, sie haben sich bewährt und sie werden von Eltern sehr stark nachgefragt, weil sie eben erfolgreich sind, und es gibt keinen Grund, Konfessionsschulen in breiter Front abzuschaffen.“ 

Rolf Weißner (stellv. Vorsitzender CDU Werne), wa.de, 26.9.2014:

Rolf Weißner (CDU) appellierte an die Verwaltung, mit den Schulen das Gespräch zu suchen, damit diese sich in Gemeinschaftsgrundschulen umwandeln. Weißner: „Das christliche Weltbild kann man auch im Schulprogramm festlegen. Dafür brauchen wir keine Konfessionsschule.“

Heinrich Heymink (CDU-Sprecher Oer-Erkenschwick, über die evangelische Albert-Schweitzer-Schule Ende 2013):

“Wir haben ein Riesenproblem, wenn die Konfessionsbindung bleibt.”
(Die Umwandlung scheiterte, obwohl 77% der abgegebenen Stimmen sich für eine Umwandlung aussprachen.)

Wir untersuchen die Aussagen von Klaus Kaiser im Einzelnen:

1) Die Konfessionsschulen sind Teil unserer Bildungslandschaft…

Das ist richtig. Die Landesverfassung garantiert den Bestand von Konfessionsschulen in staatlicher Trägerschaft. Ein Drittel aller öffentlichen Grundschulen in NRW sind katholische oder evangelische Grundschulen.

2) …sie haben sich bewährt und sie werden von Eltern sehr stark nachgefragt…

Auch das ist richtig. Zumeist schicken Eltern ihre Kinder tatsächlich sehr gerne auf katholische oder evangelische Grundschulen. Oft erhalten Bekenntnisgrundschulen weit mehr Anmeldungen als nahegelegene Gemeinschaftsgrundschulen. Nicht selten melden auch Eltern, deren Kinder nicht dem Schulbekenntnis angehören, ihre Kinder lieber an Bekenntnisschulen an.

3) …weil sie eben erfolgreich sind…

Hier wird es schwieriger. Das Argument ist häufig zu hören: Katholische und evangelische Grundschulen sind beliebte und gute Schulen. In der Tat sind viele Eltern überzeugt, dass ihre Kinder an Bekenntnisschulen bessere Lernbedingungen vorfinden.

Warum ist das so? Liegt es an der Konfessionalität?

Ein Zitat des saarländischen CDU-Kultusministers Werner Scherer von 1965 stellt die traditionelle konservativ-christliche Position wie folgt dar: „Wir als Pädagogen sind natürlich der Meinung, daß die ganzheitliche Charakterbildung der Kinder in der Konfessionsschule besser gewährleistet ist als an der christlichen Gemeinschaftsschule.“

Die Katholische Elternschaft Deutschlands führt das in einer Broschüre 2011 näher aus: Auf die Frage: Wodurch unterscheiden sich katholische Schulen von Gemeinschaftsschulen? lautet die Antwort:

Gemeinsam ist den beiden Schulen, dass sie den Erziehungs- und Bildungsauftrag der Landesverfassung verwirklichen müssen. Katholische Schulen wollen und dürfen mehr. Sie verwirklichen die am katholischen Glauben orientierte Bildung in allen Fächern. Dagegen haben Gemeinschaftsschulen ihren Unterricht grundsätzlich offen für alle religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen zu gestalten. Der christliche Glaube darf Unterricht und Erziehung nicht bestimmen. Lehrer an Gemeinschaftsgrundschulen müssen keine Christen sein. Deshalb gibt es keine Alternative zur katholischen Grundschule.

Es steht außer Frage, dass es katholische und evangelische Eltern gibt, denen eine religiöse Erziehung ihrer Eltern wichtig ist, und die sich eine gute und enge Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde wünschen. Sind Bekenntnisschulen also besser, weil ihre Lehrer dem jeweiligen Bekenntnis angehören, weil sie fest auf der Grundlage katholischer oder evangelischer Werte stehen und diese dadurch konsequenter in allen Fächern vermitteln können? Haben Gemeinschaftsgrundschulen, auf denen Kinder laut Schulgesetz „auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte in Offenheit für die christlichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam unterrichtet und erzogen“ werden, wirklich eine schlechtere Basis, um grundlegende Werte des Zusammenlebens zu vermitteln? Müsste womöglich auf dieser Basis auch Muslimen in Deutschland die Möglichkeit gegeben werden, auf der Basis der freien demokratischen Grundordnung staatliche islamische Bekenntnisgrundschulen einzurichten? Und ist so gesehen nicht auch die Forderung von Atheisten nach religionsfreien Schulen einleuchtend?

Für viele Eltern steckt keine religiöse Motivation hinter der Schulwahl 

Ein Leser formuliert es im Online-Forum der WAZ so (Rechtschreibfehler aus Original übernommen):

„Eltern haben Ihre Kinder ganz bewußt auf eine Konfessions-Schule mit Verpflichtung zur Teilnahme am Religionsunterricht angemeldet, weil sie sicher sein konnten, dass dadurch der Anteil von muslischen Seiteneinsteigern oder türkischstämmigen Schülern – deren Elternhäus sich konsequent der deutschen Sprache widersetzen – gering war, da muluslmische Eltern die Erklärung zur Teilnahme am Religionsunterricht natürlich nicht unterschrieben haben.“

Das Verwaltungsgericht Köln hat es 2012 sorgfältiger formuliert:

Im vorliegenden Fall ist nicht davon auszugehen, dass die Eltern der bekenntnisfremden Schüler der KGS unterschiedslos und vorbehaltlos mit einer schulischen Erziehung ihrer Kinder im katholischen Glauben einverstanden sind. Vielmehr darf angenommen werden, dass ein Großteil dieser Eltern die Schule gewählt hat, um der Schülerschaft an der GGS – mit einem vergleichsweise hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund – auszuweichen.

Es gibt durchaus Gemeinschaftsschulen, in denen nur noch eine Minderheit der Kinder aus herkunftsdeutschen Familien kommt. Dass es solche Situationen in fast allen größeren westdeutschen Städten gibt, ist unstrittig. Es ist nachvollziehbar, dass Eltern sich von einem homogenen sozialen Umfeld auf der Schule bessere Lernvoraussetzungen für ihre Kinder erhoffen.

Das Verwaltungsgericht Minden forderte im August 2013 politische Lösungen:

“Letztlich ist es vorrangige Aufgabe der politischen Entscheidungsträger, gesetzliche Bestimmungen ggf. dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen und die Normen mit der Wirklichkeit wieder in Einklang zu bringen.”

Die Politik hat den Auftrag, Integration zu fördern und dafür zu sorgen, dass alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft an Grundschulen in Nordrhein-Westfalen gute Bildungschancen erhalten. Andernfalls wird der von allen demokratischen Parteien bekundete politische Wille, Integration zu fördern, zum Lippenbekenntnis. Im Wahl-o-mat zur Bundestagswahl 2013 bezogen die demokratischen Parteien eindeutig Stellung: „Das Miteinander ist Voraussetzung einer offenen und toleranten Gesellschaft” (FDP) und „Gemeinsamer Unterricht ist ein wichtiges Element unserer Integrationspolitik. Kinder sollen ungeachtet ihrer Herkunft gefördert werden” (CDU). Die Grünen betonten: “Wir wollen keine Sonderung der SchülerInnen nach Sozialstatus, Herkunft der Eltern, Religion oder anderen Merkmalen.”

4) …und es gibt keinen Grund, Konfessionsschulen in breiter Front abzuschaffen. 

Das sehen wir anders. Auch der als neutrale Experte geladene Münsteraner Professor Dr. Hinnerk Wißmann legte im Juni 2014 im Landtag NRW aus verfassungsrechtlicher Perspektive unmissverständlich dar, dass öffentliche Bekenntnisschulen angesichts geänderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und dem Verlust konfessioneller Homogenität einen Anachronismus darstellen, der dringend einer Reform bedarf. Alle staatlichen Schulen seien unmittelbar an das Grundgesetz gebunden und verpflichtet, die individuelle Vielfalt von Schülerinnen und Schüler zu achten und zu fördern. Es sei nicht haltbar, dass das Grundrecht auf Religionsunterricht im eigenen Bekenntnis und auch auf Abmeldung vom Religionsunterricht keine Geltung habe. Zwar hat Wißmann nicht der Abschaffung das Wort geredet, aber aus seinem Vortrag wurde deutlich, dass die staatliche Bekenntnisschule in wesentlichen Aspekten ihren bisherigen Charakter verlieren müsste, um unter geänderten gesellschaftlichen Bedingungen weiterhin im Einklang mit dem Grundgesetz zu stehen.

In anderen stark religiös geprägten Bundesländern wie Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wurden die Bekenntnisschulen um 1970 zugunsten von Gemeinschaftsschulen abgeschafft, meist auf der Basis breiter gesellschaftlicher Koalitionen – und sicher nicht grundlos. In Bayern bestand wohl kaum die Meinung, dass dadurch gute Schulen zugunsten schlechterer Schulen abgeschafft wurden.

Auch die breite parteiübergreifende Koalition im Stadtrat von Werne plädiert 2014 nicht ohne Grund dafür, drei katholische Grundschulen in Gemeinschaftsgrundschulen umzuwandeln. Hintergrund: Die einzige Gemeinschaftsschule vor Ort wird geschlossen, weil sie zu wenig Schüler hat. Wir zitieren aus dem Artikel:

Ausschussvorsitzender Benedikt Striepens (Grüne) warnte davor, nur eine Schule umzuwandeln. „Die Tatsache, dass wir in Werne nur katholische Grundschulen haben, ist auch eine Chance“, sagte Striepens. Denn so würden die Eltern in der Regel die wohnortnahe Schule wählen, so dass es zu einem Gleichgewicht der Schülerzahlen komme. Ziel müsse daher sein, alle drei Werner Schulen umzuwandeln.

Schuldezernentin Elke Kappen pflichtete ihm bei. Die Entscheidung darüber treffe aber ausschließlich die jeweilige Schulkonferenz und nicht die Politik. Kappen betonte, dass das Bekenntnis bei der Anmeldung nur in den seltensten Fällen eine Rolle spiele, sondern die Wohnortnähe oder das pädagogische Konzept für Eltern Entscheidungskriterien seien. Sie will nun das Gespräch mit den drei Schulleitungen und den Schulkonferenzen suchen.

Nicht die Schulkonferenz kann umwandeln, sondern eine Zweidrittelmehrheit aller Eltern [Anmerkung: Seit einer Gesetzänderung von 2015 genügen 50% aller Stimmen]. Nach unserer Erfahrung ist das ein aussichtsloses Unterfangen. Das Umwandlungsquorum ist so hoch, dass es unwahrscheinlich ist, dass alle drei Schulen umgewandelt werden. In Oer-Erkenschwick scheiterte in einer ähnlichen Situation im März 2014 bereits die Umwandlung einer einzigen Schule: 126 Stimmen und damit weit mehr als der Hälfte der Stimmen (bei lediglich 26 Gegenstimmen) genügten nicht für eine Umwandlung.

Natürlich gibt es Kommunen in NRW, in denen die örtlichen Bekenntnisgrundschulen breite Unterstützung haben. In Kreis Recklinghausen zum Beispiel sieht der SPD-Fraktionsvorsitzende Dominik Schad „keinen Anlass, an der Grundschul-Landschaft in Waltrop etwas zu verändern.“ Allerdings wurde die Stelle der Schulleitung dort bereits elf (!) mal erfolglos ausgeschrieben, weil kein katholischer Kandidat gefunden werden kann. Schad „sehe nicht, warum ein neuer Rektor oder eine Rektorin an der Barbaraschule zwingend katholisch sein müsse.“ Die katholische Kirche interpretiert das Schulgesetz bislang allerdings anders und hat unseres Wissens bei Schulleiterstellen (anders als seit neuestem bei Stellvertretungen) noch keine einzige Ausnahme zugelassen. Genau aus diesem Grund wurden in der Vergangenheit mehrere Bekenntnisschulen trotz der hohen Hürde umgewandelt.

Übrigens hat eine Umwandlung in den seltensten Fällen zur Folge, dass dadurch die Religion aus der Schule gedrängt wird. Der oben bereits zitierte Werner CDU-Ratsherr Gleißner hat Recht, wenn er sagt: „Das christliche Weltbild kann man auch im Schulprogramm festlegen. Dafür brauchen wir keine Konfessionsschule.“ Ein St. Martinszug kann an einer Gemeinschaftsgrundschule ebenso stattfinden wie die schulische Weihnachtsfeier oder der regelmäßige Gottesdienstbesuch. Allerdings bestehen an dieser Schulform bessere Chancen, dass Kinder aller Religionen ebenso wie Kinder aus nichtreligiösen Familien das Recht auf Religionsfreiheit gewährt bekommen.

Fazit

Unstrittig ist auf Ebene der Landespolitik – auch unter den meisten Kirchenvertretern -, dass die Umwandlung einzelner Bekenntnisgrundschulen durch eine Senkung des Quorums bei Elternabstimmungen erleichtert werden sollte. Für eine Situation wie in Werne ist das allerdings keine Lösung. Für solche Fälle muss auch Kommunen die rechtssichere Möglichkeit gegeben werden, Schulen im Rahmen der Schulentwicklungsplanung umzuwandeln.

Wir meinen allerdings, dass die staatliche Bekenntnisschule schon lange ihre Existenzberechtigung verloren hat. Dass es sich in der Mehrzahl um gute und beliebte Schulen handelt, genügt nicht als Begründung für ihren Erhalt. Öffentliche Grundschulen müssen wie in den anderen Bundesländern auch Schülern und Lehrkräften grundsätzlich unabhängig von Konfession und Religionszugehörigkeit offen stehen und eine gute Primarbildung gewährleisten. Für die Befürchtung, dass die Schulen infolge einer Umwandlung ihre Werte über Bord werfen und an Qualität verlieren, gibt es übrigens kaum eine Grundlage. In aller Regel bleiben die Lehrkräfte und die gelebten Werte unverändert erhalten.

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