Die Veedelsschule war einmal

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Freie Grundschulwahl führt zu verstärkter Segregation

Wie soll Integration funktionieren, wenn Angehörige der Mehrheitsgesellschaft sich von jenen abschotten, von denen sie Integration fordern? Oder andersherum: Wie sollen Kinder von Einwanderern deutsch lernen, wenn deutsche Familien versuchen, ihre Kinder in möglichst homogen deutschen Einrichtungen unterzubringen?

„In Ballungsräumen bleiben die Kinder der einzelnen Schichten immer mehr unter sich“. Das hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung mit dem Titel Gleich und gleich gesellt sich gern: Zu den sozialen Folgen freier Grundschulwahl festgestellt. Die Abschaffung der Schulbezirke für Grundschulen ist der Integration nicht förderlich und fördert die Trennung von Kindern nach sozialen Kriterien.

Es ist also das Gegenteil dessen eingetreten, was mit der Abschaffung verbindlicher Schulbezirke 2008 erreicht werden sollte: Es kam nicht zur angestrebten Qualitätsverbesserung durch mehr Wettbewerb zwischen Grundschulen infolge der Konkurrenz um Schüler. Vielmehr haben sich Absetzungsbewegungen von sozial benachteiligten Schulen verstärkt. Deren Risiko steigt, zu Restschulen zu werden.

Jeder wird es nachvollziehen können: Wer neben einer „guten“ Grundschule wohnt, möchte auch, dass sein Kind diese Schule besuchen kann. Wer allerdings in der Nähe einer Grundschule wohnt, die als schwierig gilt (weil sie einen „niedrigen Sozialstatus“ hat), versucht oft, sein Kind an einer anderen, einer „besseren“ Schule anzumelden – auch wenn diese weiter weg ist.

Und was haben Konfessionsschulen damit zu tun?

Die Unterscheidung nach konfessionellen und nicht konfessionellen Grundschulen in NRW hat durchaus mit dieser Entwicklung zu tun. Bekenntnisgrundschulen sind vor allem dann begehrt, wenn die nächstgelegene Gemeinschaftsgrundschule aufgrund ihrer Schülerzusammensetzung keinen guten Ruf hat:

„Eltern mit hoher Bildung wählen in der Regel nur dann eine zuständige Bekenntnisgrundschule, wenn sie in einem Gebiet wohnen, in dem die zuständige GGS sozial benachteiligt oder sozial durchschnittlich ist.“

„Ist die zuständige GGS sozial durchschnittlich oder sozial privilegiert, sind die Unterschiede im elterlichen Wahlverhalten insgesamt eher gering ausgeprägt. Zwar wählen Eltern mit hoher Bildung auch bei einer sozial durchschnittlichen zuständigen GGS eher eine nicht zuständige Grundschule oder eine zuständige Bekenntnisgrundschule als Eltern mit mittlerer oder niedriger Bildung, die Unterschiede sind jedoch verglichen mit sozial benachteiligten Schulen gering ausgeprägt. Ist die zuständige GGS sozial privilegiert, wird sie sehr häufig von allen Eltern gewählt. Die Wahl einer zuständigen Bekenntnisgrundschule findet dagegen kaum noch statt, wenn die zuständige GGS sozial privilegiert ist.“ (S. 23-24 der o.g. Studie)

„Ist die zuständige bekenntnisfreie Gemeinschaftsgrundschule sozial benachteiligt, steigt mit zunehmendem Sozialstatus der Eltern die Wahrscheinlichkeit stark an, dass sie gemieden wird.“ (s. 25)

[So] „sorgt die freie elterliche Grundschulwahl dafür, dass sich sowohl Kinder mit und ohne Migrationshintergrund als auch Kinder von Eltern mit niedriger und höherer Bildung zusätzlich entmischen. Die freie Grundschulwahl sorgt somit für ein noch stärker segregiertes Grundschulsystem, mit der Folge, dass sozial benachteiligte Kinder noch stärker unter sich bleiben und von eigenständigen negativen Segregationseffekten betroffen sind.“ (S. 33)

Familien der Mittelschicht sind also deutlich mobiler als Unterschicht- und Migrantenfamilien in der Wahl der Grundschule. In der Konsequenz führt das zu sozialer Trennung  („Segregation“).  Übertragen auf unser Thema heißt das: Im Villenviertel schicken Eltern ihre Kinder gerne auch auf die konfessionsneutrale Gemeinschaftsgrundschule, da man sowieso weitgehend „unter sich“ ist. Wohnen sie aber in einem sozial gemischten Viertel, entscheiden sie sich häufiger gegen die Gemeinschaftsgrundschule im Viertel und wählen statt dessen lieber eine weniger bunt zusammengesetzte (Bekenntnis-)Grundschule für ihr Kind, auch wenn diese weiter weg gelegen ist (s. auch Artikel über die „türkenfreie“ Schule und differenzierter: Gute Gründe, gute Schulen umzuwandeln). Die Studie hält klar fest, dass einzelne Schulen durch einen solchen Prozess verlieren können. Schulische Chancengleichheit ist nicht mehr gegeben, so der Autor: „Dabei sind insbesondere benachteiligte Schülerinnen und Schüler an benachteiligten Schulen auf ein qualitativ gut ausgestattetes Schulumfeld angewiesen, um nicht noch zusätzlich durch die Schulsituation benachteiligt zu werden.“ (S. 44)

Forderung: Brennpunktschulen besser ausstatten

Die Studie plädiert ausdrücklich nicht dafür, die freie Schulwahl wieder einzuschränken. Statt dessen schlägt der Autor vor, offen mit den ungleichen Bedingungen der Schulen umzugehen und benachteiligte Schulen besser auszustatten, so dass sie auch für Mittelschichtsfamilien attraktiver werden (vorstellbar wären kleinere Klassen und eine bessere personelle und materielle Ausstattung):

„Um den massiven sozialen und ethnischen Ungleichheiten begegnen zu können, erscheint es deshalb vielmehr ratsam, offen mit den Konsequenzen des elterlichen Schulwahlverhaltens umzugehen und die zum Teil schwierige Situation an einigen Grundschulen darzustellen. Eine transparente Kommunikation und eine transparente soziale Schulstruktur würden es ermöglichen, begründet eine ungleiche Ressourcenverteilung vorzunehmen, um die Benachteiligungen abzubauen.“

Bleibt noch die Frage der Finanzierung. Eine privilegierte Ausstattung benachteiligter Schulen erscheint nur durchsetzbar, solange dies nicht auf Kosten der beliebteren Schulen geschieht.

Studie der Bertelsmann-Stiftung

Gleich und gleich gesellt sich gern: Zu den sozialen Folgen freier Grundschulwahl. Autor: Thomas Groos. Schriftenreihe Arbeitspapiere wissenschaftliche Begleitforschung „Kein Kind zurücklassen!“ Erscheinungsort Gütersloh, Band 5 (Oktober 2015)

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