Der nachfolgende Artikel ist durch einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts 2016 überholt.
Ein Runderlass des Schulministeriums vom 5. November 2013 erklärt unmissverständlich: Bekenntniskinder dürfen bei der Aufnahme an öffentlichen Bekenntnisschulen nicht vorgezogen werden – sofern die Eltern anderer Kinder erklären, dass sie eine Unterrichtung und Erziehung „nach den Grundsätzen des an der Schule vermittelten Bekenntnisses“ wünschen. Der Erlass stellt außerdem klar, dass bekenntnisfremde Kinder nicht zum Gottesdienstbesuch gezwungen werden dürfen.
Zum Hintergrund:
Ein Drittel aller Grundschulen in Nordrhein-Westfalen sind evangelische oder katholische Bekenntnisschulen. An diesen Schulen müssen alle Lehrkräfte dem Bekenntnis angehören. Eigentlich sollen auch die Schülerinnen und Schüler entsprechend getauft sein. Es handelt sich aber nicht um Privatschulen bzw. Ersatzschulen. Diese werden zumindest teilweise von den Eltern und Religionsgemeinschaften finanziert. Vielmehr geht es hier um öffentliche Schulen in kommunaler Trägerschaft, die vollständig aus öffentlichen Mitteln und damit von allen Steuerzahlern finanziert werden.
Zahlreiche Eltern haben in den vergangenen Tagen und Wochen ihr Kind auf der nächstgelegenen Bekenntnisgrundschule angemeldet. Von mehreren Eltern haben wir gehört, dass ihren nicht im Schulbekennntnis getauften Kindern von den Schulleitern im Anmeldegespräch keine Chance auf einen Platz eingeräumt wurde, da im Schulbekenntnis getaufte Kinder unabhängig von den in der Ausbildungsordnung Grundschule festgelegten Kriterien vorrangig aufzunehmen seien. Im Klartext: Das Kriterium Bekenntnis ist an einem Drittel aller öffentlichen Grundschulen wichtiger als Kriterien wie: Hat das Kind Geschwister an der gleichen Schule, wie ist der Schulweg, wohin gehen die Kindergartenfreunde etc. So ergab sich in den letzten Jahren vielfach die Situation, dass selbst Geschwisterkinder an begehrten Konfessionsschulen befürchten mussten, keinen Platz zu bekommen. An diesem Punkt ist also die Klarstellung des Ministeriums zu begrüßen. Der Erlass macht deutlich: Die Verwaltungsanordnung VVzAO-GS Nr. 1.23 Satz 4 ist ungültig. Sie besagt: „Bei einem Anmeldeüberhang an einer Bekenntnisschule haben Kinder, die dem Bekenntnis angehören, bei der Aufnahme einen Vorrang gegenüber den anderen Kindern.“ Dies hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf übrigens schon 2008 festgestellt, trotzdem mussten sich Schulleiter bis zum Runderlass des Ministerium vom November 2013 nach dieser Verwaltungsanordnung richten.
Es bleiben aber zahlreiche Unstimmigkeiten, Unklarheiten und Widersprüche: Muss die Willenserklärung schriftlich sein oder nicht? Führt eine Abmeldung vom Religionsunterricht zwingend zum Verweis von der Schule oder doch nicht? Wie viel Druck wird auf Kinder ausgeübt, am Gottesdienst teilzunehmen? Warum wird nicht die offensichtlich problematische und unklare Verwaltungsvorschrift geändert, sondern durch einen Erlass in Frage gestellt?
Vor allem aber: Wie glaubwürdig ist es, wenn Eltern bekenntnisloser, evangelischer oder muslimischer Kinder „die ausdrückliche Erklärung abgeben, dass sie ihr bekenntnisfremdes Kind wegen des Bekenntnischarakters der gewünschten Schule dort erziehen und unterrichten lassen wollen“, wie es der Erlass verlangt?
In einer Broschüre der katholischen Kirche wird diese Anforderung konkretisiert: „Es geht nicht nur darum, ob die Willenserklärung formell richtig ist, sondern ob die Eltern die Schule aus religiöser Überzeugung wählen.“ Warum aber sind die Kirchen nicht voller, wenn so viele Familien die Unterrichtung an Bekenntnisschulen so ausdrücklich wünschen? Tatsache ist, dass an 54 der 96 evangelischen Schulen weniger als die Hälfte der Kinder dem evangelischen Bekenntnis angehören, gleiches gilt für ein Viertel der 916 katholischen Grundschulen.
Und nicht zuletzt: Der Erlass ändert nichts daran, dass faktisch Grundrechte eingeschränkt werden. Der Familie des muslimischen Bülent ist damit eben so wenig geholfen wie der des ungetauften Fabian und vielen anderen, die ihr Recht auf Religionsfreiheit an öffentlichen Einrichtungen verstehen als Recht auf Freiheit von einer Religion, zumal wenn sie ihr nicht angehören. Durch die für eine Aufnahme erforderliche Erklärung verwirken Eltern das Recht auf Abmeldung ihrer Kinder vom Religionsunterricht, obwohl dieses grundgesetzlich garantiert ist. Und evangelische Kinder an einer katholischen Schule (und umgekehrt) verwirken das Recht auf Religionsunterricht im eigenen Bekenntnis, obwohl das Schulgesetz dieses Recht ausdrücklich auch an Bekenntnisschulen gewährt.
Das Ministerium brauchte offenbar eine Argumentationshilfe für Schulleiter. Der Erlass gibt ihnen die Möglichkeit, in den Fällen, bei denen eine Klage droht, Ausnahmen zu machen. Das bisherige Verfahren, erst alle nicht passenden Kinder abzulehnen, um bei hartnäckigen Eltern scheinbar großzügig eine Ausnahme zu machen, bleibt weiterhin bestehen.
DER ERLASS AUS DEM SCHULMINISTERIUM
s. hier
Datum: 05.11.2013 11:48
Betreff: msw13110501 – Aufnahme bekenntnisf remder Kinder in
Bekenntnisgrundschulen
>>>>>>>>>> Beginn der Schulmail des MSW NRW >>>>>>>>>
An alle öffentlichen Grundschulen
(Gemeinschaftsgrundschulen und Bekenntnisgrundschulen)
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Landesregierung hat ebenso wie die katholischen (Erz-) Bistümer und die evangelischen Landeskirchen den Wunsch, dass die Aufnahme bekenntnisfremder Kinder in Bekenntnisgrundschulen nicht von Konflikten begleitet oder Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Verfahren sein soll. Alle Beteiligten sind sich deshalb darüber einig, dass hierfür im Rahmen der derzeit geltenden gesetzlichen Vorgaben die nachfolgenden Grundsätze gelten sollen.
1. Aufnahme als Kind einer Minderheit in eine Bekenntnisschule am Wohnort
Kinder sind als bekenntnisfremde Angehörige einer religiösen Minderheit in eine Bekenntnisschule an ihrem Wohnort aufzunehmen, wenn eine öffentliche Gemeinschaftsgrundschule auf dem Gebiet des Schulträgers nicht besteht oder nur bei Inkaufnahme eines unzumutbaren Schulweges erreichbar ist (Nr. 1.23 VVzAO-GS). In der ständigen Verwaltungspraxis richtet sich die Zumutbarkeit nach der Schülerfahrkostenverordnung (§ 13 Absatz 3).
Die Schule achtet das Bekenntnis dieser Kinder. Eine Bekenntnisschule mit mehr als zwölf Schülerinnen und Schülern einer konfessionellen Minderheit erteilt Religionsunterricht in deren Bekenntnis (§ 26 Absatz 7 Schulgesetz).
2. Wunsch der Eltern auf Unterricht und Erziehung in einem fremden Bekenntnis
Eltern haben einen unmittelbar durch Artikel 4 Grundgesetz gewährleisteten Aufnahmeanspruch für ihr bekenntnisfremdes Kind, wenn sie ausdrücklich und übereinstimmend wünschen, es solle nach den Grundsätzen des an der Schule vermittelten Bekenntnisses unterrichtet und erzogen werden. Ein solcher Wunsch ist nicht an die Schriftform gebunden.
Melden die Eltern ihr Kind an einer Bekenntnisschule an, ist dies in der Regel so zu verstehen, dass sie die Merkmale einer solchen Schule kennen und bejahen. Im Zweifel soll die Schulleiterin oder der Schulleiter die Eltern bei der Anmeldung über die Erziehungsgrundsätze der Bekenntnisgrundschule informieren. Die ausdrückliche Erklärung der Eltern, ihr Kind allein aus anderen als den zuvor genannten, nämlich aus pädagogischen, schulorganisatorischen oder geografischen Gründen anzumelden, schließt allerdings die Aufnahme in die Bekenntnisgrundschule aus.
3. Teilnahme am Religionsunterricht
Der durch die Anmeldung zum Ausdruck gebrachte Wunsch von Eltern, ihr Kind solle nach den Grundsätzen des an der Schule vermittelten Bekenntnisses unterrichtet und erzogen werden, schließt ihr Einverständnis ein, dass dem Kind Religionsunterricht im fremden Bekenntnis durch eine staatliche oder kirchliche Lehrkraft erteilt wird.
Erklären die Eltern bei der Anmeldung, ihr Kind solle am Religionsunterricht im fremden Bekenntnis nicht teilnehmen, ist die Aufnahme in die Schule nicht möglich. Ebenso besteht kein Anspruch auf Zugang zur bekenntnisfremden Bekenntnisschule, wenn die Eltern darauf bestehen, für ihr Kind solle Religionsunterricht im eigenen Bekenntnis erteilt werden.
§ 26 Absatz 7 Schulgesetz steht dem nicht entgegen. Zu einer
konfessionellen Minderheit im Sinne dieser Vorschrift mit Anspruch auf Religionsunterricht in ihrem Bekenntnis gehören nur Kinder, die deshalb eine Bekenntnisschule besuchen, weil eine öffentliche, ihrem Bekenntnis entsprechende Schule oder eine Gemeinschaftsschule auf dem Gebiet des Schulträgers nicht besteht oder nur bei Inkaufnahme eines unzumutbaren Schulweges erreichbar ist.
Die Teilnahme am Religionsunterricht des fremden Bekenntnisses bietet dem Kind die Gelegenheit, dieses Bekenntnis kennen zu lernen. Sie bedeutet nicht, dieses Bekenntnis anzunehmen. Zwar ist der Religionsunterricht anders als ein religionskundlicher Unterricht Bildung und Erziehung im Glauben, aber nicht eine Erziehung zum Glauben. Aus der Perspektive des Bekenntnisses ermöglicht der Religionsunterricht interreligiöses Lernen. Es gehört zum pädagogischen Auftrag der Religionslehrerinnen und Religionslehrer, Kinder keinen Konflikten auszusetzen, die sich aus den Zielen des bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts einerseits und dem eigenen Bekenntnis der Kinder andererseits ergeben. Das gilt in besonderer Weise für Kinder nichtchristlicher Bekenntnisse.
4. Teilnahme an Schulgottesdiensten
Schulgottesdienste vermitteln religiöse Erfahrungen, die über den Religionsunterricht hinausgehen. Der Runderlass über den
Schulgottesdienst als Schulveranstaltung (BASS 14-16 Nr. 1) eröffnet die Gelegenheit für solche Angebote und die Teilnahme daran.
Bekenntnisschulen arbeiten häufig mit Kirchengemeinden zusammen, und das Angebot von Schulgottesdiensten gehört zu ihrem Schulprogramm. Die Teilnahme an kirchlichen Handlungen bleibt in aller Regel den bekenntnisangehörigen Kindern vorbehalten. Sie darf von den bekenntnisfremden Kindern nicht erwartet werden. Darauf muss die Schule bei den Schulgottesdiensten achten. Es gehört zu ihren Aufgaben, die Eltern dieser Kinder über den Ablauf von Schulgottesdiensten zu informieren und mit ihnen über den Ausgleich unterschiedlicher Wünsche und Interessen zu sprechen. Dass ein bekenntnisfremdes Kind nicht beim Schulgottesdienst anwesend ist, sollte vermieden werden, wird es doch auf diese Weise vorübergehend vom Schulleben ausgeschlossen. Wenn aber in dieser Frage kein Einvernehmen mit seinen Eltern möglich ist und das Kind dem Schulgottesdienst fernbleibt, stellt dies den Besuch der Bekenntnisschule nicht in Frage.
5. Aufnahmekriterien bei Anmeldeüberhängen
In den meisten Fällen können die Grundschulen alle Kinder aufnehmen, die dort angemeldet werden. Übersteigt die Zahl der Anmeldungen die Aufnahmekapazität einer Grundschule (Anmeldeüberhang), kommt es zu einem Aufnahmeverfahren nach den Regeln der Ausbildungsordnung für die Grundschule. Nach den dazu erlassenen Verwaltungsvorschriften (Nr. 1.23 VVzAO-GS) haben beim Anmeldeüberhang an einer Bekenntnisschule Kinder, die dem Bekenntnis angehören, einen Vorrang gegenüber den anderen Kindern.
Bei der Aufnahme auch bekenntnisfremder Kinder in die
Bekenntnisgrundschule unterscheidet die jüngste Rechtsprechung aber nicht mehr zwischen bekenntnisangehörigen und bekenntnisfremden
Kindern, stellt also kein Rangverhältnis her. Danach sind bei
schulorganisatorischen Beschlüssen und den Prognosen, auf denen sie beruhen, beide Gruppen gleichermaßen zu berücksichtigen. Es ist deshalb vertretbar, dann nicht nach der Verwaltungsvorschrift zu verfahren, wenn die Eltern die ausdrückliche Erklärung abgeben, dass sie ihr bekenntnisfremdes Kind wegen des Bekenntnischarakters der
gewünschten Schule dort erziehen und unterrichten lassen wollen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Ludwig Hecke
< <<<<<<<<< Ende der Schulmail des MSW NRW <<<<<<<<<<
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