Leserbriefe zur Podiumsdiskussion im General-Anzeiger Bonn

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zuletzt aktualisiert am 6.1.2012 (Leserbrief R. Rösler)

Leserbrief

Vielen Dank für die Berichterstattung über die Podiumsdiskussion zu Bekenntnisgrundschulen. Es war in der Tat eine lebhafte Diskussion, nicht zuletzt aufgrund des bunt zusammengesetzten und engagierten Publikums. Die meisten Teilnehmer auf dem Podium vertraten aber keineswegs unüberwindbar gegensätzliche Positionen. Als Mitglied der veranstaltenden Initiative war ich positiv überrascht, dass alle anwesenden Politikerinnen und Politiker ebenso wie beide Kirchenvertreter die geschilderten Probleme sehr ernst genommen haben. Konkret geht es um die Benachteiligung konfessionsfremder Lehrkräfte, aus Konfessionsgründen unbesetzte Leitungsstellen, den Zwang zu Gottesdienstbesuch und Religionsunterricht und in vielen Einzelfällen als diskriminierend empfundene Aufnameentscheidungen an den ausschließlich staatlich finanzierten Grundschulen. Der Repräsentant der evangelischen Kirche im Rheinland, Rainer Pauschert, sprach treffend von „Risiken und Nebenwirkungen“ der Konfessionsgrundschulen. Man kann angesichts der landesweit zahlreichen von solchen „Nebenwirkungen“ betroffenen Lehrkräfte und Familien nur hoffen, dass das Versprechen aller auf dem Podium vertretenen Politiker zügig eingelöst wird, gemeinsam im Gespräch mit den Kirchen tragfähige Lösungen zu erarbeiten.

  • Andrea Honecker (Vorsitzende der Katholischen Elternschaft Deutschlands im Erzbistum Köln), veröffentlicht am 26.11.2012

Leserbrief Andrea Honecker

  • Initiative „Kurze Beine – kurze Wege“, veröffentlicht am 1.12.2012

In einem Leserbrief vom 26.11.2012 wirft Andrea Honecker, Vorsitzende der Katholischen Elternschaft Deutschlands*, der Initiative „Kurze Beine – kurze Wege“ vor, diese hätte in ihrem Flyer und in ihrer Einladung zur Podiumsveranstaltung „Unwahrheiten“ verbreitet. Diese Unterstellung weisen wir entschieden zurück. Darüber hinaus wirft Frau Honecker unserer Initiative vor, Podiumsteilnehmer und andere Zuhörer durch Zwischenrufe und lautes Lachen brüskiert zu haben. Die gemeinsam von der Stadtschulpflegschaft und der Initiative gestaltete Podiumsdiskussion war eine öffentliche Veranstaltung mit knapp 100 Zuschauern*. Die Initiative ist nicht für die teils lauten Reaktionen des bunt zusammengesetzten Publikums verantwortlich zu machen. Wir als Elterninitiative wünschen uns eine sachliche Diskussion. Wir wollen die Situation an den öffentlich finanzierten Bekenntnisgrundschulen für die Schüler- und Elternschaft sowie für das Schulpersonal verbessern. Die Reaktionen aller auf dem Podium vertretenen Landespolitiker sowie der Kirchenvertreter belegen, dass diese sehr wohl um die Problematik dieser bundesweit einmaligen, nur noch in Teilen von NRW und Niedersachsen existierenden Schulart wissen.

Jeder Leser kann sich selbst einen Eindruck über die hier diskutierte Thematik verschaffen: Auf der Webseite der Initiative unter www.kurzebeinekurzewege.de findet sich ein vollständiger Mitschnitt der Veranstaltung sowie zentrale Aussagen der Podiumsteilnehmer. Wir als Initiative sind davon überzeugt, dass alle öffentlichen Schulen, also auch die zu 100% durch Steuergelder finanzierten Bekenntnisgrundschulen, allen Kinder und Lehrkräften gleichermaßen offen stehen müssen und dass es keinen Zwang zum Religionsunterricht oder zum Besuch des Gottesdienstes geben darf. Das ist aber an vielen Bekenntnisgrundschulen leider nicht der Fall und die Landespolitik ist aufgefordert, dies zu ändern.

Für die Initiative „Kurze Beine – Kurze Wege“
Silvia Bärwaldt, Karin Bißeling, Bea Buttler, Silke Dintera, Max Ehlers, Kemal Kaygusuz, Anja Niemeier, Jan Reche, Birgit Singhof, Dr. Birgit Wolz

*Berichtigungen:
Frau Andrea Honecker ist Vorsitzende der „Katholischen Elternschaft Deutschlands im Erzbistum Köln“, nicht des Dachverbandes „Katholischen Elternschaft Deutschlands“.
Laut ihrer Zählung waren es genau 76 Zuschauerinnen und Zuschauer.

Weitere, bislang unveröffentlichte Leserbriefe

  •  Dr. Birgit Wolz (Mitglied der Initiative)

Die Podiumsdiskussion „Sind Bekenntnisgrundschulen noch zeitgemäß“ hat für mich vor allem eines gezeigt:  Kaum einer wagt es öffentlich zuzugeben, dass Bekenntnisgrundschulen für viele Eltern vor allem dann attraktiv werden, wenn der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund besonders gering ist. Religiöse Gründe für die Schulwahl sind oft vorgeschoben und auch die Kirchen verstecken sich dahinter. Wir brauchen aber „gemischte“ Schulen, weil Kinder frühzeitig lernen müssen, einander zu respektieren, unabhängig davon, welcher Herkunft und welchen Glaubens sie sind. Unsere beiden Kinder besuchen bewusst eine Gemeinschaftsgrundschule, weil wir verhindern wollten, dass sie in einer katholischen heilen Welt aufwachsen. Gelernt haben vor allem auch wir Eltern. Weil wir begreifen mussten, wieviele Vorurteile auch wir gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund mit uns herumtragen, obwohl wir uns für fortschrittlich und tolerant hielten. Natürlich gibt es Probleme mit mangelnden Sprachkenntnissen, unterschiedlichem Sozialverhalten und religiösen und weltanschaulichen Differenzen. Aber unsere zunehmend buntere Gesellschaft wird nicht zusammenwachsen, wenn wir durch die Aufnahmepraxis der Bekenntnisgrundschulen, migrationsfreie Nischen schaffen und sich an den Gemeinschaftsgrundschulen die Problemfälle bündeln. Das ist in unserem Stadtteil leider der Fall, obwohl es sich ausschließlich um öffentliche Schulen in Trägerschaft der Kommunen handelt, denen eigentlich eine Diskriminierung aus religiösen Gründen durch das Grundgesetz verboten ist. Die rot-grüne Landesregierung muss diese Probleme endlich anpacken und ihren eigenen Forderungen nach Integration und Inklusion gerecht werden.

  • Birgit Singhof (Mitglied der Initiative)

Zum Podiumsabend zum Thema: „Sind Bekenntnisgrundschulen noch zeitgemäß“ und ihre Berichterstattung darüber, möchte ich als Teilnehmerin dieser Veranstaltung meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, wie wenig Konkretes zu diesem brisanten gesellschaftspolitischem Thema von den Podiumsteilnehmern zu hören war. Ich hätte mir gewünscht, dass die Koalition aus Rot-Grün die unglückselige Verwaltungsvorschrift zurücknimmt, die 2009 von der CDU-FDP-Landesregierung aufgelegt wurde und die dafür sorgt, dass öffentlich finanzierte Grundschulen (denn das sind Bekenntnisgrundschulen ja nun mal), Kinder aufgrund ihres Bekenntnisses ablehnen können. Integration und Inklusion sollten an unseren Grundschulen selbstverständlich sein. Diese Vorschrift steht dagegen. Ich habe nichts gegen Schulen in kirchlicher Trägerschaft, aber ich habe etwas dagegen, wenn öffentliche Schulen Ausgrenzung aufgrund von Religionszugehörigkeit betreiben können. Hier sind unsere Politiker aus meiner Sicht gefordert, im Grundgesetz verankerte Rechte wieder Realität werden zu lassen.

Warum die Überlegung, die Bekenntnisgrundschulen aus unserer Verfassung zu nehmen, von den verantwortlichen Politikern an diesem Abend völlig verworfen wurde, ist mir somit ebenfalls ein Rätsel. Wir sind das letzte Bundesland mit Niedersachsen, das sich Bekenntnisgrundschulen leistet. Selbst Bayern hat diese 1968 zugunsten von Gemeinschaftsgrundschulen aus der Landesverfassung gestrichen. Diese vermitteln schließlich auch – nachlesbar im Schulgesetz – ein christliches Wertebild. In NRW sind die Kirchen jedoch, so scheint es, übermächtig und können an den Bekenntnisgrundschulen über Schüleraufnahme, Lehrer,- und Schulleiterbesetzung sowie über das Religionsunterrichtsangebot bestimmen. Ich bin gespannt, welcher verantwortliche Politiker den Mut hat, ernsthaft den ersten Schritt zu gehen, Nordrhein-Westfalen im Grundschulbereich endlich zeitgemäß aufzustellen.

  • Jan Hochbruck, Köln (als Antwort auf den Leserbrief Honecker)

 Der Splitter im Auge des Anderen
Frau Honecker verwechselt hier etwas: die „Zwischenrufer“ waren keinesfalls Mitglieder der Initiative, sondern ein atheistischer Block – sehr ähnlich dem katholischen, der ebenfalls anwesend war und mit ostentativem Klatschen und Buh-Rufen bei den jeweils ihnen unliebsamen Beiträgen seinen Teil zur Turbulenz beitrug. Die Initiative Kurze Beine – kurze Wege hat seit ihrer Gründung keine einzige „Unwahrheit“ verbreitet, sondern einen sozialen und rechtlichen Missstand ins Licht der Öffentlichkeit gebracht: dass die Diskussion darüber lebhaft und engagiert war, beweist ihre Dringlichkeit und die Notwendigkeit der Veränderung, die sich einfach nicht mehr durch Hinhalten und „ist doch alles gut so“ aussitzen lässt.

  • Reinhard Rösler, Bonn

In der Kontroverse wurde von Kirchenvertretern mehrfach auf die besondere Wertevermittlung hingewiesen, die auf Bekenntnisschulen stattfinde und ihre besondere Attraktivität ausmache. Allerdings wurde nicht näher erläutert, was diese Werte sind, denn zur Vermittlung von Werten, die sozusagen Allgemeingut sind, bedarf es keiner Bekenntnisschulen.

Welche Werte also werden an Bekenntnisschulen vermittelt, die säkulare oder Lehrkräfte einer anderen Glaubensrichtung nicht ebenso vertreten können? Welche Werte kann oder darf eine konfessionell gebundene Lehrkraft nur an einer passenden Bekenntnisschule leben und lehren? Und sind die Werte, die als Alleinstellungsmerkmale der betreffenden Bekenntnisschule gelten können, überhaupt Werte, die in unserer Gesellschaft erwünscht sind?

Kurz gefragt: Sind die Werte, zu deren Vermittlung es einer Bekenntnisschule bedarf, überhaupt wert, die weitreichenden staatlich finanzierten Privilegien diser Schulen (z.B. bei der Schüler- und Lehrerauswahl) zu rechtfertigen?

zurück zum Artikel über die Podiumsdiskussion

GEW fordert Abschaffung von Bekenntnisgrundschulen

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Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in NRW spricht Klartext. Während die GEW-Landesvorsitzende Dorothea Schäfer in einer Stellungnahme die Schulgesetznovelle ausdrücklich begrüßt, kritisiert sie gleichzeitig unmissverständlich ausgrenzende Tendenzen im Grundschulbereich:

„Die grundsätzliche Entscheidung zur Abschaffung der Bekenntnisschulen und damit die Entscheidung für eine ‚Schule für alle Kinder‘ auch im Grundschulbereich werden leider weiterhin ausgeklammert.“

Aus GEW Pressemitteilung zur Anhörung bezüglich des 8. Schulrechtsänderungsgesetzes vom 31.10.2012, GEW begrüßt Konzept „Kurze Beine – kurze Wege“

Der Kreisverband Kleve der GEW wird im November 2012 wie folgt zitiert:

„Oft können die Rektorenstellen nicht besetzt oder Bewerberinnen nicht eingestellt werden, weil sie nicht katholisch sind“, umschreibt Seefluth die Problematik. Im Kreis sind von den insgesamt 53 Grundschulen 35 katholisch konfessionell gebunden. „Leider verschließen viele Kommunalpolitiker die Augen vor diesem Phänomen, aber im Zuge der Inklusion sollte es doch möglich sein, zumindest konfessionelle Grenzen zu überwinden. Denn ohne Gemeinschaftsschulen schließen wir im Kreis mehr als die Hälfte der künftigen Lehrkräfte aus, die hier eingestellt werden könnten.“ fordert die GEW zum Umdenken auf und verweist auf Solingen: Dort gibt es keine katholischen Grundschulen mehr, dafür aber genügend Lehrer und Schulleitungen.

Die GEW Klewe leitet daraus die folgende konkrete Forderung ab:

Eine Erleichterung der gesetzlichen Vorgaben bei der Umwandlung von Konfessions- in Gemeinschaftsgrundschulen muss erfolgen, die bürokratischen Hürden sind zu hoch.

Die Umwandlung von Konfessions- in Gemeinschaftsgrundschulen erleichtert gerade in den Dörfern und Ortsteilen die Stellenbesetzung, insbesondere der Leitungsstellen. Ohne die Schulkonzeption wesentlich zu verändern, besteht hier eine mögliche Kostenersparnis. Nicht-Katholische Kinder können mit ihren Spielkameraden zusammenbleiben. Sie brauchen nicht an die GGS zu wechseln. Die erspart der Gemeinde Fahrtkosten. Außerdem widerspricht dieser Zustand dem Gedanken der Inklusion. In Zukunft wird es wie bei schulscharfen Ausschreibungen keine Versetzung von nicht-katholischen Lehrpersonen an Konfessionsschulen geben.

Keine Schulleitung aus Konfessionsgründen: „pädagogisch und schulorganisatorisch nicht sinnvoll“

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Renate Hendricks, schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im NRW-Landtag, zum Problem unbesetzter Schulleitungsstellen:

“Wir haben sehr viele Grundschulen, die im Moment ohne Schulleitung sind. Ein Problem, das wir speziell an vielen katholischen Grundschulen vorfinden – weil ein Schulleiter oder eine Schulleiterin an diesen Schulen eben zunächst katholisch sein muss. Das ist pädagogisch und schulorganisatorisch nicht sinnvoll – darüber müssen wir unbedingt mit den Kirchen sprechen.”   (aus: Schule heute – Zeitschrift des Verbandes Bildung und Erziehung, 10/2012, S.13)

Das Bildungsministerium ignoriert diesen Aspekt übrigens hartnäckig (siehe Piraten fragen nach offenen Schulleiterstellen an Bekenntnisgrundschulen).

Weitere Informationen dazu:

und weitere Artikel zum Thema Lehrkräfte an öffentlichen Bekennntnisgrundschulen

Eine Möglichkeit, direkt bei verantwortlichen Politiker/innen nachzufragen, besteht am 19.11.2012 bei der Podiumsdiskussion in Bonn.

Positionen von Parteien und Verbänden in NRW zum Thema Bekenntnisgrundschulen

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Was sagen eigentlich Parteien, Lehrerverbände und Kirchen in NRW zum Thema Bekenntnisgrundschulen? Vordergründig bekannten sich im Landtagswahlkampf 2010 alle damals im Landtag vertretenen Parteien (CDU, SPD, FDP, Grüne) im Rahmen einer aktuellen Stunde zu den Bekenntnisgrundschulen – wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten. Weiterlesen

Piraten fragen nach offenen Schulleiterstellen an Bekenntnisgrundschulen. Das Ministerium antwortet. Nicht.

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aktualisiert 20. September 2012

Die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der Piraten ist am 18.09.2012 veröffentlicht worden. Diese Antwort ist allerdings beileibe nicht vollständig. In der Anfrage war explizit danach gefragt worden, „Wie viele Schulen welcher Schulformen und Schularten […] ohne eigene Besetzung der Schulleitung ins Schuljahr 2012/13 gestartet“ waren. Die Antwort enthält allein Zahlen über die Schulformen, die explizit erfragte Aufschlüsselung nach Schularten erfolgt nicht (s. hier). Weiterlesen

Kurze Wege für kurze Beine – vorausgesetzt das Bekenntnis stimmt

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Der Slogan „Kurze Beine – kurze Wege“ steht auf der Hitliste der bildungspolitischen Schlagworte ganz oben. Auch NRW-Schulministerin Löhrmann erklärt in einer Pressemitteilung am 4.9.2012: „Das Prinzip ‚Kurze Beine – Kurze Wege‘ gilt auch in Zukunft“. Tatsächlich schafft das vom Kabinett verabschiedete 8. Schulrechtsänderungsgesetz die gesetzliche Basis für den Erhalt kleiner Schulen. Da dies im Sinne aller ist, die nicht fixiert sind auf kurzfristige Haushaltskonsolidierung, gibt es Zustimmung von allen Seiten (z.B. von den Lehrerverbänden VBE und GEW, s. hier und hier).

Es bleibt allerdings nach wie vor dabei, dass die Schulweglänge in Nordrhein-Westfalen für viele Grundschüler davon abhängt, ob Sie die ‚richtige‘ Konfession für die nächstgelegene Schule haben. Weiterlesen

NRW-Piraten fragen nach Aufnahmekriterien an Bekenntnisgrundschulen

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12. August 2012

Eigentlich hatte die NRW-Piratin Monika Pieper eine ganz einfache Frage: Welche Aufnahmeregeln gelten eigentlich an jenem Drittel aller Grundschulen des Bundeslandes, die zwar Bekenntnisschulen sind, sich aber in staatlicher Trägerschaft befinden und ausschließlich aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden?

Seit dem Wegfall  der Schulbezirke für Grundschulen 2008 gibt es jedes Jahr Probleme, wenn Eltern ihre Kinder an der Grundschule anmelden. So manche Familie fiel seitdem aus allen Wolken, als sie den Platz an der nächstgelegenen Wunschschule nicht bekam, während weiter entfernt wohnende Kinder mit dem richtigen Bekenntnis einen Platz erhielten.

Das Schulgesetz legt in dieser Frage scheinbar eindeutig fest: „Jedes Kind hat einen Anspruch auf Aufnahme in die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in seiner Gemeinde im Rahmen der vom Schulträger festgelegten Aufnahmekapazität.“

Was aber, wenn es sich bei der gewünschten Schule um eine Bekenntnisschule handelt, das Kind aber nicht im Bekenntnis getauft ist?

Ausführlichere Regelungen enthält die Ausbildungsordnung Grundschule (AO-GS), die ausdrücklich festlegt, wie bei einem Anmeldeüberhang zu verfahren ist: Kinder mit Wohnsitz in der Gemeinde seien vorrangig zu berücksichtigen, ebenso wie Härtefälle. Ansonsten gelten die Kriterien Geschwisterkinder, Schulwege, Besuch eines Kindergartens in der Nähe der Schule, ausgewogenes Verhältnis von Mädchen und Jungen, und ausgewogenes Verhältnis von Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Muttersprache.

Die Ausbildungsordnung Grundschule verliert also kein Wort über Religion und Bekenntnis.

An dieser Stelle setzt die Kleine Anfrage der Piraten an, auf die die Landesregierung am 7.8.2012 antwortete (Drucksache 16/499):

1. Kommen bei einem Anmeldeüberhang an einer Bekenntnisgrundschule für das Schuljahr 2012/2013 ausschließlich die unter §1 Abs. 3 der Ausbildungsordnung Grundschule (AO-GS) genannten fünf Kriterien zum Tragen?

Antwort der Landesregierung:
Ja. 

Man sollte denken, dass sich damit die Beantwortung der beiden weiteren Fragen erübrigt, wenn doch ausschließlich diese Kriterien Gültigkeit haben. Tatsächlich und konsequent bleibt Frage 2 ohne Antwort:

2. Wenn andere Kriterien zum Tragen kommen, welche sind das?

In der Antwort auf Frage 3 erklärt die Landesregierung, wieso es zwar keine weiteren Kriterien für die Aufnahme an Bekenntnisschulen gibt, getaufte Kinder aber trotzdem vorrangig behandelt werden müssen:

3. Falls andere Kriterien zutreffen, wo sind eben diese Kriterien geregelt?

Antwort der Landesregierung:
Abgesehen von den Kriterien in § 1 Abs. 3 AO-GS haben bei einem Anmeldeüberhang an einer Bekenntnisschule Kinder, die dem Bekenntnis angehören, bei der Aufnahme einen Vorrang gegenüber den anderen Kindern (Nr. 1.23 der Verwaltungsvorschriften zur AO-GS – BASS 13-11 Nr. 1.2). Diese Klarstellung ergibt sich aus den Merkmalen einer Bekenntnisschule, wie sie in Art. 12 Abs. 6 der Landesverfassung und § 26 Abs. 3 Schulgesetz (SchulG) bestimmt sind. Sie ist der Anwendung der Vorschriften des § 46 Abs. 3 SchulG und des § 1 Abs. 2 und 3 AO-GS vorgeschaltet.

Noch im März 2010 hat uns übrigens das Schulministerium als Antwort auf unsere Petition erklärt, eine Ablehnung von Kindern aufgrund ihrer Konfession sei dann nicht rechtens, wenn die Eltern ausdrücklich erklären, dass sie eine Unterrichtung und Erziehung im Schulbekenntnis wünschen. In der Stellungnahme des Ministeriums heißt es:
„Einen Anspruch auf Aufnahme [haben] zunächst nur diejenigen Kinder, die dem jeweiligen Bekenntnis angehören. Aus Gründen des Art. 4 GG sind diesen Kindern solche gleichzustellen, die ausdrücklich Unterricht und Erziehung in dem Bekenntnis wünschen. Bei einem Anmeldeüberhang ist richtigerweise zunächst die Konfessionszugehörigkeit der Aufnahmewilligen bzw. die Erklärung der Eltern, das Kind im Sinne des Bekenntnisses erziehen zu wollen, zu berücksichtigen.“

Der Kölner Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum ist übrigens der Ansicht, dass die Konfession so oder so keine Rolle spielen darf:

“Insgesamt enthalten §§ 1 AO-GS, 1 APO-S I für das Aufnahmeverfahren abschließende Regelungen, so dass weitere, nicht aus diesen Regelungen hervorgehende Aufnahmekriterien nicht zulässig sind. Deshalb darf an staatlichen Schulen, auch an Bekenntnisschulen, die Konfession für die Aufnahmeentscheidung keine Rolle spielen. Die anders lautende Regelung in Nr. 1.23 S. 4 VVzAO-GS ist – wie auch die der Verwaltungsvorschrift entsprechende Behördenpraxis – rechtswidrig.”

Wir sind gespannt, ob sich die Piraten mit der Antwort der Landesregierung zufriedengeben.

Rechtliche Grundlagen
Hier die im Schreiben der Landesregierung genannten Rechtsgrundlagen in der Reihenfolge ihrer Nennung

§ 1 Abs. 3 AO-GS

Im Rahmen freier Kapazitäten nimmt die Schule auch andere Kinder auf. Bei einem Anmeldeüberhang führt die Schule ein Aufnahmeverfahren unter diesen Kindern durch. Dabei werden Kinder mit Wohnsitz in der Gemeinde vorrangig berücksichtigt. Die Schulleiterin oder der Schulleiter berücksichtigt Härtefälle und zieht im Übrigen eines oder mehrere der folgenden Kriterien für die Aufnahmeentscheidung gemäß § 46 Abs. 2 SchulG heran:
1. Geschwisterkinder,
2. Schulwege,
3. Besuch eines Kindergartens in der Nähe der Schule,
4. ausgewogenes Verhältnis von Mädchen und Jungen,
5. ausgewogenes Verhältnis von Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Muttersprache.

Nr. 1.23 der Verwaltungsvorschriften zur AO-GS

Die Wahl der Schulart steht den Eltern zu Beginn eines Schuljahres frei (§ 26 Abs. 5 SchulG).
In eine Bekenntnisschule darf ein Kind aufgenommen werden, wenn es entweder
a) dem entsprechenden Bekenntnis angehört oder
b) dem Bekenntnis nicht angehört, die Eltern (§ 123 SchulG) aber ausdrücklich übereinstimmend wünschen, dass es nach den Grundsätzen dieses Bekenntnisses unterrichtet und erzogen werden soll.
Im Ausnahmefall sind Kinder als Minderheit dann in eine Bekenntnisschule aufzunehmen, wenn eine öffentliche, ihrem Bekenntnis entsprechende Schule oder eine Gemeinschaftsschule auf dem Gebiet des Schulträgers nicht besteht oder nur bei Inkaufnahme eines unzumutbaren Schulweges erreichbar ist.
Bei einem Anmeldeüberhang an einer Bekenntnisschule haben Kinder, die dem Bekenntnis angehören, bei der Aufnahme einen Vorrang gegenüber den anderen Kindern.

§26 Abs. 3 SchulG

In Bekenntnisschulen werden Kinder des katholischen oder des evangelischen Glaubens oder einer anderen Religionsgemeinschaft nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichtet und erzogen. Zum evangelischen Bekenntnis im Sinne dieser Vorschrift gehören auch die bekenntnisverwandten Gemeinschaften.

§46 Abs. 3 SchulG

Jedes Kind hat einen Anspruch auf Aufnahme in die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in seiner Gemeinde im Rahmen der vom Schulträger festgelegten Aufnahmekapazität.

§1 Abs 2 AO-GS

Jedes Kind hat einen Anspruch auf Aufnahme in die seiner Wohnung nächstgelegene Grundschule der gewünschten Schulart in seiner Gemeinde im Rahmen der vom Schulträger festgelegten Aufnahmekapazität (§ 46 Abs. 3 SchulG). Bei einem Anmeldeüberhang sind die Kriterien des Absatz 3 für die Aufnahmeentscheidung heranzuziehen.

Siehe dazu auch den Artikel Rechtsgrundlagen von Bekenntnisschulen in Nordrhein-Westfalen.

Schulbezirke wieder einführen?

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Interessant. Da stellt eine Wissenschaftlerin fest, es gebe keine Notwendigkeit, die Schulbezirke wieder einzuführen, da sich durch ihre Einführung „wenig“ verändert habe. Sie bestätigt damit die (durchaus richtige) Einschätzung vieler Kommunalpolitiker, „dass die Eltern mit ihren Kindern ohnehin die nächstgelegene Grundschule ansteuern“.

Wir erlauben uns den Hinweis, dass es schön wäre, wenn das Recht auf Aufnahme an der nächstgelegenen Grundschule unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Kinder gälte.

WAZ Sauer und Siegerland, 14.6.2012, Einige Kommunen in Südwestfalen wollen wieder feste Schulbezirke

Problem in Hagen-Boele: Schule katholisch schrumpfen oder ökumenisch öffnen?

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In Hagen-Boele hat die Kommunalpolitik beschlossen, an einer (katholischen) Grundschule die Zügigkeit so anzupassen, dass sie nur noch den katholischen Kindern Platz bietet, und hat sich damit viel Ärger eingehandelt. Eltern und Lehrer meinen, damit sei dem Elternwillen nicht gedient. Wohl wahr, aber die einfachste und wahrhaft ökumenische Lösung wäre sicherlich die Umwandlung in eine Gemeinschaftsschule.

WAZ Hagen, 19.6.2012, Kein Platz mehr für nichtkatholische Schüler in Hagen-Boele