Hier ein Stück interessante Lektüre für all jene, die gerne juristisches Quellenstudium betreiben. Es geht dabei um eine Verfassungsbeschwerde gegen die Änderung der Landesverfassung NRW vom März 1968. Damals waren konfessionelle Grund- und Hauptschulen zugunsten von Gemeinschaftsschulen geschwächt worden. Eltern klagten, weil Sie ihr Recht der freien Religionsausübung geschwächt sahen, wenn sie ihre Kinder nicht auf Bekenntnisschulen schicken konnten: „Es widerspreche […] der gleichheitlichen Behandlung aller, wenn allein den Anhängern der Gemeinschaftsschule „Minderheitenschutz“ unter Berufung auf Art. 4 GG gewährt werde, während den Anhängern der Bekenntnisschule sogar in den Orten, in denen sie eine beachtliche Mehrheit darstellten, ein entsprechender Schutz versagt bleibe.“ Die Beschwerden wurden im Dezember 1975 vom ersten Senat zurückgewiesen.
Das Urteil lautete:
1. Die Gemeinschaftsschule gemäß Art. 12 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen ist als Schulform mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie führt Eltern und Kinder, die eine bekenntnisgebundene religiöse Erziehung wünschen, nicht in einen verfassungsrechtlich unzumutbaren Glaubenskonflikt und Gewissenskonflikt (im Anschluß an den Beschluß vom 17. Dezember 1975 – 1 BvR 63/68, BVerfGE 41, 29).
2. Die bevorzugte Einrichtung solcher Gemeinschaftsschulen neben oder anstelle von Bekenntnisschulen ist mit Art. 6 Abs. 2 GG (Elternrecht) und Art. 4 Abs. 1 GG (Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit) vereinbar.
3. Im Verfahren der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht kann eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG nicht darauf gestützt werden, daß Landesrecht mit der Landesverfassung unvereinbar sei und deshalb nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne dieses Grundgesetzartikels gehöre.
Auszüge aus der (ausführlichen) Begründung:
Gegen die Einführung der Gemeinschaftsschule im Sinne des Art. 12 Abs. 6 LV als Regelschulform der Hauptschule und als bevorzugte Schulform im Bereich der Grundschule sind unter dem Gesichtspunkt der Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 sowie Art. 6 Abs. 2 GG keine Bedenken zu erheben.
[…]Da in einer pluralistischen Gesellschaft es jedoch dem Staat faktisch unmöglich ist, bei der weltanschaulichen Gestaltung der öffentlichen Pflichtschule allen Elternwünschen voll Rechnung zu tragen, muß davon ausgegangen werden, daß sich der Einzelne nicht uneingeschränkt auf das Freiheitsrecht aus Art. 4 GG berufen kann. In der Ausübung seines Grundrechts wird er insoweit durch die kollidierenden Grundrechte andersdenkender Personen begrenzt.
[…]Die im Schulwesen unvermeidlichen Spannungen zwischen „negativer“ und „positiver“ Religionsfreiheit muß der Landesgesetzgeber, falls er den Betroffenen aus schulorganisatorischen Gründen den Besuch einer Gemeinschaftsschule vorschreibt, in der Weise ausgleichen, daß er die verschiedenen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte unter Berücksichtigung des grundgesetzlichen Gebots der Toleranz miteinander nach dem Prinzip der „Konkordanz“ soweit als möglich in Einklang bringt.